Katharina Grosse. „It Wasn’t Us“

Die Malerei von Katharina Grosse kann überall auftauchen: auf einem Gummistiefel, auf einem Ei, auf den gestauchten Falten eines Tuches, entlang des Bahngleises, am Strand, im Schnee, auf einem Skulpturengebilde oder an der Fassade und auf dem Dach. Ihre raumgreifenden Arbeiten sind multidimensionale Bildwelten, in denen Wände, Decken, Objekte und ganze Gebäude und Landschaften mit leuchtenden Farben überzogen sind. Die Vorstellung, dass Malerei sich nicht nur auf einer Leinwand ereignet, sondern in jede Facette unserer Umwelt eindringen kann, ist für ihre künstlerische Praxis von zentraler Bedeutung.

Diese kaleidoskopische, multidimensionale Bildwelt bringt die von der Künstlerin gestalteten Farben und Formen, die von Natur gegebenen und von Menschen gebauten Umgebungen sowie die Besucherinnen und Besucher als Mitwirkende in einem allumfassenden, pulsierenden Farbgeschehen zusammen. Dabei verflüssigen sich die Grenzen zwischen einzelnen Gegenständen, zwischen horizontaler und vertikaler Ausrichtung, und je nach Standpunkt ändern sich die Größenverhältnisse. In der Bewegung durch das Bild eröffnen sich artifizielle, assoziationsreiche und doch gänzlich reale Räume, die unsere Sehgewohnheiten, Denk- und Wahrnehmungsformen neu verhandeln.

Für die Ausstellung hat die Künstlerin die Historische Halle des Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin sowie den Außenbereich hinter dem Gebäude in ein expansives Bild verwandelt, das die bestehende Ordnung des musealen Raums radikal destabilisiert. Für das ortsbezogene Gemälde „It Wasn’t Us“ hat sich Katharina Grosse mit großer Geste und leuchtenden Farben über die Begrenzungen des Gebäudes hinweggesetzt: „Ich male mich aus dem Gebäude heraus“, so beschreibt die Künstlerin ihr Arbeiten vor Ort. In einem wochenlangen Prozess ist ein expansives Bild entstanden, das sich über die Historische Halle hinaus in den öffentlichen Raum erstreckt, sich über das weitläufige Gelände hinter dem Museum ausbreitet und schließlich auf der Fassade der 2004 dem Museum angegliederten sogenannten Rieckhallen landet.

Im Innenraum des Hamburger Bahnhofs dienen Grosse der Steinboden und hoch aufragende, aus Polystyrol bestehende skulpturale Elemente als Bildträger. Diese skulpturalen Elemente hat sie in mehreren Arbeitsschritten und durch verschiedene Skalierungen in die finale Größe überführt: Die maschinell gefrästen Objekte wurden in jedem Stadium von Hand nachgeschnitten und durch 3D Scans erfasst, um das nächstgrößere Modell zu produzieren. In einem letzten Schritt wurden die einzelnen Teile in die Halle gebracht und vor Ort zusammengefügt. Über Tage hat die Künstlerin mit Hilfe eines heißen Drahts Furchen, Einkerbungen und feinste Rillen geformt, bevor sie die fragilen weißen Objekte ebenso wie der Boden Schicht um Schicht mit dynamisch aufgesprühten Farbflächen übermalte. Der Malprozess, in dem sich die Farben je nach Untergrund und Dichte des Auftrags unterschiedlich verhalten, setzte sich dann im Außenraum fort.

Während im Innenraum die architektonischen Gegebenheiten der Halle sowie die mit den Tages- und Jahreszeiten wechselnden Lichtverhältnisse für die Wahrnehmung des Gemäldes prägend sind, sind im Außenraum hinter dem Museumsgebäude die Bäume, die Grünflächen, die Wetterverhältnisse und der Alltag auf dem Platz Teil der Inszenierung.

Ausstellung bis 14.01.2021

Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin
smb.museum/museen-einrichtungen/hamburger-bahnhof

Bilder:
Portrait: Katharina Grosse
(Foto: Robert Schittko, Art/Beats)
Alle anderen Bilder:
Ausstellungsansicht Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, 2020 / Courtesy KÖNIG GALERIE, Berlin, London, Tokyo / Gagosian / Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Wien © Katharina Grosse / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Fotos: Jens Ziehe