Lucy McKenzie – Prime Suspect

Die Ausstellung zeigte Werke aus der Zeit von 1997 bis heute und bringt Beispiele aus allen bedeutenden Werkgruppen der Künstlerin (*1977) zusammen. Angefangen bei ihren frühen Arbeiten, die sich mit Inszenierung und Ikonografie des internationalen Sports ebenso auseinandersetzen wie mit der politischen Dimension von Nachkriegs-Wandmalereien, über die Beschäftigung mit Architektur und Innenarchitektur des Fin de Siècle, aber auch der belgischen Illustration der 1950er-Jahre bis hin zur fortlaufenden Erkundung der miteinander verwobenen Geschichte von Mode und Verkaufsdisplays hat sich McKenzie als eine einzigartige künstlerische Stimme ihrer Generation etabliert.

In „Top of the Will“ (1998/99), einem der frühesten Werke in der Ausstellung, klebte sie inszenierte Fotos von sich und ihren Freundinnen, bekleidet mit Turnuniformen, die denen sowjetischer Mannschaften der 1970er-Jahre nachempfunden sind, direkt auf die Wand, dazwischen eingestreut herausgerissene Seiten aus alten Büchern und Zeitschriften. In der Nebeneinanderstellung von Fakten und Fiktion, Dokumentation und Imitation – und dies in einer Aufmachung, die an Jugendzimmerdeko oder an die aus unzähligen Detektivfilmen bekannte „Beweismittelwand“ erinnert – erweist sich bereits eine Verbindung von fanartiger Begeisterung und forensischer Analyse, die zu den durchgängigsten Merkmalen von McKenzies Praxis gehört.

In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Künstlerin Bilder, Objekte und Motive aus einer Vielzahl historischer Momente und Kontexte herausgegriffen, sie umgestaltet und ein sich einfachen Kategorisierungen entziehendes Werk geschaffen, das aber auch aus diesem Grund umso überzeugender ist. Sie belebte die alte Tradition der Trompe-l’œil-Malerei neu – deren Bilder so realistisch gemalt sind, dass sie buchstäblich das „Auge täuschen“ – und benutzt sie als Mittel, um sich frühere Stile und Epochen in Kunst und Design zu eigen zu machen, sie zu kritisieren und neu zu imaginieren.

So beleuchtet sie eine alternative Geschichte der modernen Kunst und lässt die sogenannten „angewandten Künste“ als Protagonisten einer Erzählung auftreten, die von etablierten Chronologien der Moderne und der Avantgarde abweicht. Trotz ihrer beeindruckenden Fähigkeiten als Malerin hat sich McKenzie konsequent geweigert, eine Form der visuellen oder materiellen Produktion gegenüber einer anderen zu privilegieren. Immer wieder betont sie volkstümliche und kollaborative Praktiken, die historisch im Kontext der bildenden Kunst marginalisiert oder geringgeschätzt wurden.

Auch die Politik der Geschlechter, der Platz der Frau und die Darstellung des weiblichen Körpers in Kunst, Architektur und Mode des 20. Jahrhunderts ziehen sich thematisch wie ein roter Faden durch die gesamte Ausstellung. Während das frühe Gemälde „Curious“ (1998) die Erotisierung von Sportlerinnen in den Massenmedien herausstellt, geht es „Copy of Untitled“, 2005 (2014) um die Banalität sexueller und pornografischer Inhalte in der zeitgenössischen Kultur. „Co? Në!“ (2004) gibt vor, ein Werbewandbild der 1960er-Jahre für ein fiktives Damen-Deodorant zu sein, „Mooncup“ (2012) hingegen zeigt eine riesige (unautorisierte) Werbung für einen realen britischen Hersteller von Menstruationstassen aus Silikon. Neuere Arbeiten wie „Vionnet Salon Murals after Georges de Feure“ (2016) und „Rebecca“ (2019) knüpfen an das Vermächtnis der frühen französischen Modedesignerin Madeleine Vionnet an.

Der Titel der Ausstellung, „Prime Suspect“, spielt auf die Weise an, in der McKenzies Ausstellungen oft ähnlich wie Detektivgeschichten funktionieren: Eine fiktive Prämisse bietet die Struktur für eigene Untersuchungen, um im Rückgriff auf historisches Material wichtige und nachhallende Fragen über die zeitgenössische Gesellschaft zu stellen

Museum Brandhorst München, http://www.museum-brandhorst.de

Bild oben: Lucy McKenzie Untitled, 2011, Collection Daniel Buchholz & Christopher Müller, Köln © Lucy McKenzie. Foto: Lothar Schnepf. Courtesy of the artist; Galerie Buchholz, Cologne/Berlin/New York; and Cabinet, London.
Bild unten: Lucy McKenzie vor dem Werk „May of Teck“ (2010) in der Ausstellung „Lucy McKenzie – Prime Suspect“ © Lucy McKenzie. Foto: Robert Haas