
Als Schauplatz des hochinfektiösen Desasters erlebt der Mund- und Rachenraum gegenwärtig weltweit größte Aufmerksamkeit, bietet er doch mit seiner Schleimhaut das ideale Substrat für Überlebens- und Verbreitungsmöglichkeiten des Coronavirus – eine Aktualität, die man im Zuge der Ausstellungsvorbereitung nicht erwartet hatte. Der Mundraum ist damit ins Zentrum gesellschaftlicher, politischer und medialer Debatten gerückt.
Mit Lippen, Zunge und Zähnen ist der Mund in Gänze eine äußerst reizvolle Körperzone: Sprache, Schmerz und Schrei, Essen, Schlingen, Speien und Spucken, Lust und Leidenschaft. Diese emotionale Bandbreite von Ekel bis Empathie erfahren die Besucher*innen des Kunstmuseum Wolfsburg auf dem abwechslungsreichen Themenparcours.



So widmet sich eines der Ausstellungskapitel, „Zahn und Zierde“, den Zähnen und ihrem dekorativen, religiösen sowie auch ökonomischen Wert in unterschiedlichen Kulturen unserer Welt: Die neuseeländische Künstlerin Ane Tonga beschäftigt sich mit Traditionen rund um den goldenen Zahnschmuck in ihrer tongaischen Familie und setzt diesen fotografisch in Szene, während das Londoner Künstlerpaar Fantich & Young ganze Masken und Outfits aus Zähnen entwirft. Zähne sind jedoch nicht nur Dekor, sondern auch Waffe und werden in den Kapiteln „Schlund und Schlingen“ oder „Kuss und Vampirismus“ zum Tötungsinstrument, wenn der Werwolf bei Lucas Cranach Menschen verschlingt, Saturn bei Alfred Kubin seine Kinder verspeist oder der Liebesbiss des Vampirs bei Edvard Munch zum Todeskuss wird. Für die sinnliche Form des Kusses sind die Lippen und die Zunge zuständig, was in den intensiven Kussdarstellungen von Pablo Picasso oder Wolfgang Tillmans überaus deutlich wird.
Luft und Laute verlassen unseren Mund indessen hörbar aber unsichtbar, was im entsprechenden Ausstellungskapitel beispielsweise in der überraschend langen Motivgeschichte des Homo Bulla, des Menschen, der Seifenblasen bläst, zum Ausdruck kommt.

Insgesamt gliedert sich die Ausstellung
in folgende 12 Kapitel:
Expeditionen in den Weltinnenraum
Rund um den Mund
Zähne zeigen
Zahnschmerz & Kommerz
Zahn & Zierde
Auf der Zunge
Lecken & Schmecken
Schlund & Schlingen
Kuss & Vampirismus
Schreien & Speien
Luft & Laute
Zahn der Zeit
In der 2.250 Quadratmeter großen Ausstellungshalle des Kunstmuseum Wolfsburg bieten in einer eigens konzipierten Architektur, die einen abstrahierten Mundraum darstellt, Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, Installationen, Videos und kulturgeschichtliche Objekte einen beeindruckenden Überblick über das Spektrum an Visualisierungen rund um das Orale. Vom ältesten Exponat der Schau, einer rund 2.600 Jahre alten altägyptischen Bronzefigur, welche die stillende Göttin Isis mit Harpokrates darstellt, über einen der berühmten Charakterköpfe von Franz Xaver Messerschmidt bis hin zu aktuellen Werken wie den Scream-Arbeiten von Christian Marclay, der skurrilen Zahnlandschaft von Mithu Sen oder einer ortsspezifischen Installation von Benjamin Houlihan, bei der er mit seiner Zunge Temperafarbe auf eine Wand leckt – die Schau im Kunstmuseum Wolfsburg präsentiert zum Thema Mund faszinierende Kunstwerke aus einer Reihe der bedeutendsten Museen.
Kunstmuseum Wolfsburg, http://www.kunstmuseum-wolfsburg.de
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