
Schon im Mittelalter gehörte der sogenannte „Orientteppich“ zu den Luxusgütern in adeligen und großbürgerlichen Haushalten.
Als im 19. Jahrhunderten eine neue Technik auf den Markt kam, wurden Teppiche mit Mustern nach orientalischen Vorbildern zum erschwinglichen Massenprodukt: Statt von Hand geknüpft, konnten die Imitationen auf Maschinen gestickt werden. „Der Perser aus Deutschland“ fand zunächst in den Wohnzimmern der Angestellten, später auch in vielen Arbeiterhaushalten seinen Platz.
Sogenannte „Orientteppiche“, in Europa seit dem Mittelalter dem Adel und dem gehobenen Bürgerturm vorbehalten, begeisterten seit der Weltausstellung in London 1851 eine wachsende Käuferschicht. „Um die Nachfrage decken und den Import steigern zu können, investieren europäische Unternehmer in den Aufbau manufakturähnlicher Strukturen in Westasien, um dort ‚Orientteppiche‘ fertigen zu lassen“, erklärt Martin Schmidt, wissenschaftlicher Referent im Textilwerk.

Um 1900 begann in Europa die Produktion von mechanisch gewebten Teppichen, die die tradierten Muster nachahmen. Eine neue Industrie entstand – „auch hier im Grenzraum Bocholts zu den Niederlanden“, weiß Schmidt. Die Erzeugnisse dieser europäischen Industrie waren deutlich preiswerter als ihre Vorbilder, doch sie erreichten nicht die scheinbare Individualität und Originalität „echter orientalischer Teppiche“. Unter diesen verstand die wachsende Kundschaft vor allem Knüpfteppiche.
Hier setzte die Erfolgsgeschichte des Orientstickteppichs ein: „Erst die technische Innovation des maschinellen Teppichstickens aus den 1920er Jahren machte es möglich, Produkte herzustellen, die den traditionell gefertigten Teppichen aus kunstgewerblicher Sicht sehr ähnlicher waren“, erklärt Kuratorin Marie Helbing.

Als „Perser aus Deutschland“ beworben, machten sie die Teppichfabrikzentrale AG (Leipzig), die Tefzet, mit ihrem Produktionszentrum in Oelsnitz vor dem Zweiten Weltkrieg zum größten Teppichkonzern in Deutschland mit Nachfolgefirmen in Ost und West. Vor 1946 wurden rund 80 verschiedene Dessins von der Tefzet-AG entworfen und gefertigt – die meisten davon inspiriert von den Vorbildern aus dem Orient.
1948 gingen die Werke in Oelsnitz im späteren Volkseigenen Betrieb (VEB) Halbmond-Teppiche auf. In der Bundesrepublik baute der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende der Tefzet-AG, Paul Dürrschmidt, zu diesem Zeitpunkt bereits eine eigene Orientstickproduktion nach dem Vorbild seines ehemaligen Unternehmens auf – im Grenzraum zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.
Die Schau zeigt mit über 400 Exponaten die innovative Technik hinter dem industriellen Massengut und erzählt „nebenbei“ auch eine deutsch-deutsche Geschichte. Denn die Produktion wanderte nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Vogtland, wo sich 1880 die erste maschinelle Teppichfabrik ansiedelte, in den Grenzraum zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

Daneben setzt das LWL-Museum in der Ausstellung persönliche Teppichgeschichten in Szene, die Gäste schon im Vorfeld übermittelt haben und auch noch während der Laufzeit der Ausstellung bis zum 29. Oktober 2023 beisteuern können.
Ausstellung bis 29.10.2023, Textilwerk Bocholt, http://www.lwl-industriekultur.de
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