Niki de Saint Phalle

Das Kunsthaus Zürich zeigt in einer Retrospektive mit rund 100 Werken das außergewöhnliche Schaffen von Niki de Saint Phalle: frühe Assemblagen, Aktionskunst und Grafik, die Nanas, den Tarotgarten und große späte Plastiken. Niki de Saint Phalle (1930–2002), eine der wichtigen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts, ist weltweit bekannt geworden durch ihre ‚Nanas‘: Sie zeugen von einer scheinbar unbekümmerten Fröhlichkeit, die das Bild der Künstlerin geprägt hat. Aber Niki de Saint Phalles Schaffen ist weit mehr.

Ihr Gesamtwerk ist überraschend facettenreich – exzentrisch, emotional, düster, brutal, humorvoll, hintergründig und immer wieder herausfordernd. Das überaus breite Spektrum ihrer Tätigkeit zeigt sich in Malerei und Zeichnung, in den Assemblagen, Aktionen und großformatigen Skulpturen, aber auch im Theater, im Film und in der Architektur.

Sie beschäftigte sich intensiv mit sozialen und politischen Themen und hinterfragte Institutionen und Rollenbilder – Auseinandersetzungen, die ihre Relevanz heute wieder unter Beweis stellen. Niki de Saint Phalle hat mit ihren legendären ‚Schiessbildern‘, die in provokativen Aktionen bereits in den 1960er- Jahren entstanden, einen entscheidenden Beitrag zu der gerade heute hochaktuellen Kunstform der Performance geleistet. Verfolgt man ihren künstlerischen Werdegang, so erscheinen vor diesem Hintergrund viele ihrer Werke, vor allem die ‚Nanas‘ und die großen Installationen im öffentlichen Raum, in einem anderen Licht.

Internationale Bekanntheit bekommt de Saint Phalle 1966 am Moderna Museet in Stockholm, als sie ihre erste begehbare Plastik zeigt. ‚Hon‘ ist sechs Tonnen schwer und ca. 25 Meter lang. Zwischen den Schenkeln der stilisierten liegenden Frau gelangten die mehr als 100.000 Besucherinnen in das Innere ‚der größten Hure der Welt‘, wie die Künstlerin sie nannte.

An der Expo 1967 in Montreal glänzen de Saint Phalles voluminöse ‚Nanas‘ neben Tinguelys Maschinen. Gemeinschaftsarbeiten bleiben auch in den nächsten Jahrzehnten eine von ihr bevorzugte Praxis. So wie das Projekt ‚Tarotgarten‘, das ab 1978 in der Toskana entstanden ist. Unmöglich, Werke aus diesem Gesamtkunstwerk für eine Ausstellung herauszulösen. Aber das Kunsthaus veranschaulicht anhand von Modellen und Fotos die Größe des Projekts und die Ambition seiner Schöpferin. Zur Finanzierung lässt de Saint Phalle unter anderem Möbel und dekorative Artefakte in größeren Auflagen produzieren. Erst nach zwei Jahrzehnten ist der ‚Tarotgarten‘ realisiert.

Dass Niki de Saint Phalle auf ihrem Weg stets innovativ, mutig und unabhängig geblieben ist, zeigt diese Ausstellung. Im größten stützenlosen Ausstellungssaal der Schweiz sind halboffene Räume, innen teils dunkelblau, teils weiß ausgekleidet, frei auf der Fläche verteilt. Dazwischen bewegt sich das Publikum um einen Platz herum, wie in einem Dorf. Große Fensterbänder schaffen einen Bezug der Kunst zum Außenraum, so wie es die Künstlerin bei der Standortwahl für ihre Werke gerne sah. Auf zahlreichen Fotografien tritt Niki de Saint Phalle, die auch als Model gearbeitet hatte, dem Betrachter entgegen.

Ungewohnte Perspektiven auf ihr Werk zeigen, dass vieles von dem, was Niki de Saint Phalle schuf, weder vordergründig noch groß und bunt war. Und so findet auch in der raffiniert szenografierten Ausstellung manche Entdeckung im Verborgenen statt.

Ausstellung bis 08.01.2023,
Kunsthaus Zürich,
Heimplatz, 8001 Zürich, http://www.kunsthaus.ch

Bilder:
Oben re: Nana Mosaïque Noire, 1999, Sammlung Würth Foto: Archiv Würth, 2022 Niki Charitable Art Foundation, All rights reserved / ProLitteris, Zurich,
Oben li: Green Sky, 1961 Assemblage, Foto: ahlers collection, 2022 Niki Charitable Art Foundation, All rights reserved / ProLitteris, Zurich,
Mitte: Leonardo Bezzola, Niki de Saint Phalle, Luzern, 1969, Kunsthaus Zürich, 2009 Foto, Nachlass Leonardo Bezzola Werk, 2022 Niki Charitable Art Foundation, All rights reserved / ProLitteris, Zurich / Tea Party, ou Le Thé chez Angelina, 1971 mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Leihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung, seit 1981 Foto: mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, 2022 Niki Charitable Art Foundation, All rights reserved / ProLitteris, Zurich,

Unten: My love, where shall we make love? 1971 Kunsthaus Zürich, 2022 Niki Charitable Art Foundation, All rights reserved / ProLitteris, Zurich