
Das Vitra Design Museum präsentiert erstmals eine große Ausstellung zur Geschichte und Zukunft des modernen Gartens. Gärten sind Spiegel von Identitäten, Träumen und Visionen, sie haben tiefe kulturelle Wurzeln und sind Ausdruck unserer Beziehung zur Natur. Heute ist der Garten viel mehr als ein romantisches Idyll. Gärten sind zu Orten der Avantgarde geworden, dienen als Experimentierfelder für soziale Gerechtigkeit, Biodiversität und eine nachhaltige Zukunft.
Welche Ideen und Vorstellungen haben unser heutiges Gartenideal geprägt? Welchen Beitrag leisten Gärten zu einer Zukunft, die für alle lebenswert ist? Diese Fragen untersucht die Ausstellung anhand von vielfältigen Beispielen aus Design, Alltagskultur und Landschaftsarchitektur – vom Liegestuhl bis zur vertikalen Stadtfarm, von zeitgenössischen Community-Gärten über begrünte Gebäude bis hin zu Gärten von Gestalter-/Innen und KünstlerInnen wie Roberto Burle Marx, Mien Ruys oder Derek Jarman.
Der Garten war schon immer ein Raum, in dem die Hoffnung auf eine bessere Zukunft Gestalt annimmt. Wo immer Menschen ein Stück Natur einhegen, um einen Garten anzulegen, spiegelt sich stets auch ihr eigenes Verhältnis zur Natur – und mitunter ganzer Gesellschaften und Epochen.



Das verdeutlichen zum Auftakt der Ausstellung vielfältige Beispiele aus Kunst und Architektur in einer Medieninstallation mit Werken von Hans Thoma, Georg Gerster, Athanasius Kircher, Barbara Stauffacher-Solomon, Gabriel Guevrekian, Alvar Aalto, Thomas Church, Vita Sackville-West, Luis Barragán und anderen. Der Garten erscheint hier als Ort, der sowohl unseren Alltag als auch unsere Fantasie beflügelt und mal ganz praktische, oft aber auch tiefe symbolische oder philosophisch- religiöse Bedeutung hat.
Selbst der intimste Garten ist nie nur persönlicher Rückzugsort, sondern stets auch Zeugnis sozialer und historischer Entwicklungen, politischer und wirtschaftlicher Interessen und kultureller Wertesysteme: Dies thematisiert der zweite Teil der Ausstellung. So wurzelt manche Staude, die heute in westlichen Gärten beheimatet ist, tief in der Kolonialgeschichte.
Der Transport lebender Gewächse um die Welt wurde durch den so genannten Wardschen Kasten möglich, der den kommerziellen Pflanzenhandel und den privaten Garten veränderte, den globalen Austausch wichtiger Nutzpflanzen wie Tee oder Kautschuk im Interesse der Kolonialmächte beförderte und eng verknüpft ist mit der Ausbreitung invasiver Arten.

Ebenfalls im 19. Jahrhundert entstanden zahlreiche urbanistische Konzepte, die Stadt und Garten miteinander verbinden sollten. So formulierte 1898 der britische Sozialreformer Ebenezer Howard die Idee der Gartenstadt, in der sich auch ärmere Bevölkerungsschichten selbst versorgen können. Die von Liz Christy in New York initiierte Green-Guerrilla-Bewegung wiederum beansprucht den städtischen Garten als Raum für soziale Gerechtigkeit und öffentliche Beteiligung. Diese Bewegung wurde in den 1970er Jahren ausgerufen, doch die von Christy und ihren Vorgänger-/Innen aufgeworfenen Fragen werden noch heute debattiert: Wer hat überhaupt Anspruch auf einen Garten, wozu ist ein Garten gut, und wie können Gärten in ein urbanes Umfeld integriert werden?

Wie unterschiedlich die Antworten hierauf sein können, verdeutlichen im dritten Teil der Ausstellung neun wegweisende Gartengestalter-/Innen der jüngeren Zeit. Der brasilianische Landschaftsarchitekt Roberto Burle Marx (1909–1994) gestaltete mit einheimischen Pflanzen möglichst naturnahe Gärten, die Pflanzenkompositionen des Gartenarchitekten Piet Oudolf wirken nicht nur zur Blütezeit ansprechend und die Autorin und Gärtnerin Jamaica Kincaid nimmt ihren Garten in Vermont (USA) als Ausgangspunkt für ihre Auseinandersetzung mit Kolonialgeschichte, Verdrängung und kultureller Aneignung.
Der Künstler und Filmemacher Derek Jarman (1942–1994) erschuf im Angesicht des eigenen Todes ein blühendes Gartenkunstwerk, wo kaum jemand es für möglich gehalten hätte: im unwirtlichen Kies der südenglischen Küste neben einem Atomkraftwerk.
Der malaysische Landschaftsarchitekt Ng Sek San wirkte bei der Gründung eines Gemeinschaftsgartens in Kuala Lumpur mit, der exemplarisch für die vielen Bürgerinitiativen in den Megastädten und Metropolen der Welt steht.
Der weitläufige Liao-Garten des Künstlers Zheng Guogu wiederum lehnt sich an die Ästhetik des Videospiels »Age of Empires« an und schlägt so eine Brücke zwischen virtueller und realer Umgebung. All diese Beispiele zeigen, dass Gärten auf faszinierend vielfältige Weise die künstlerisch-gestalterische Haltung ihrer UrheberInnen zum Ausdruck bringen und als eigene Gestaltungsdisziplin an der Schnittstelle von Kunst, Architektur und Design mehr Beachtung finden sollten.

Der letzte Teil der Ausstellung betrachtet aktuelle Projekte, die sich mit der Zukunft des Gartens auseinandersetzen: Im Zeitalter von Klimakrise, sozialer Ungerechtigkeit, bedrohter Artenvielfalt und sozialer Isolation wird der Garten zu einem Ort für innovative Zukunftsvisionen. Vor diesem Hintergrund rückt der Garten als Ort der Heilung, der Spiritualität oder des Lernens in den Mittelpunkt.
Die eigens für die Ausstellung geschaffene begehbare Textil-»Wiese« der argentinischen Künstlerin Alexandra Kehayoglou schärft das Bewusstsein für die dramatische Bedrohung scheinbar zeitloser Landschaften durch den Klimawandel. Wie dieses Bewusstsein in Städte, Gebäude, Schulen und andere Bereiche getragen werden kann, veranschaulichen die aktuellen Gartenprojekte, die neben traditionellen und indigenen Praktiken auf einer sechs Meter langen Illustration des Architekten Thomas Rustemeyer dargestellt sind. Im Zeitalter des Anthropozäns – so die Botschaft dieser Projekte und der Forschung – müssen wir unseren gesamten Planeten als Garten verstehen, den wir verantwortungsvoll pflegen und nutzen.
Bis 03.10.2023, Vitra Design Museum, Weil am Rhein, http://www.design-museum.de

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