
Die Fondation Beyeler präsentierte eine Ausstellung des georgischen Malers Niko Pirosmani (1862–1918), eines rätselhaften Einzelgängers und zugleich einflussreichen Vorboten der modernen Kunst. Pirosmanis Bilder vermögen Alltägliches in Außergewöhnliches zu verwandeln. Meist sind sie mit präzisen Pinselstrichen in leuchtenden Farben schwungvoll auf schwarzes Öltuch gemalt. Niko Pirosmani ist eine mythenumwobene Legende. Die Fondation Beyeler präsentiert den georgischen Künstler. Er gilt als einer der rätselhaftesten Einzelgänger der modernen Kunst.

Sowohl Pirosmanis Maltechnik und Malstil als auch seine Farbpalette und die Motive sind in der modernen Kunst in ihrer Kombination einzigartig. Pirosmani malte überwiegend Tiere oder aber Menschen aus dem Volk, oftmals archetypische Figuren, etwa eine Mutter mit Kindern, einen Fischer, einen Koch oder einen Postboten. Manchmal handelt es sich um Porträts konkreter Personen, wie bei jenen der Schauspielerin Marguerite de Sèvres und des Avantgardekünstlers Ilja Sdanewitsch. Mit großer Empfindsamkeit verwandelte der autodidaktische Künstler Alltägliches in Außergewöhnliches. Oft blicken die würdevoll dargestellten Menschen und Tiere die Betrachtenden eindringlich und zugleich entrückt an. Dabei entwickeln sie in harmonischer Ruhe eine faszinierende Präsenz.

Daneben gibt es epische, multiperspektivische Landschaften mit simultanen Darstellungen zeitversetzter Ereignisse wie Trinkgelagen, Jagden und Prozessionen. Stillleben mit kulinarischen Köstlichkeiten entstanden oft im Auftrag, unter anderem für Tavernen; darüber hinaus finden sich Bilder von Feierlichkeiten und Festen, die in der georgischen Kultur eine besondere Bedeutung haben.
Bei all ihrer Alltäglichkeit eignet vielen der Werke doch auch etwas Gleichnishaftes an, indem sie auf Grundsätzliches und Urmenschliches verweisen. Während Pirosmanis Kunst eine Spiritualität verströmt, legt sie gleichzeitig auch dokumentarisches Zeugnis ab von einem Land an der Schnittstelle von Westen und Ost und von einer Stadt, Tbilissi, die als das «Paris des Ostens» galt.

Die menschlichen wie die tierischen Akteure sind liebe- und würdevoll dargestellt – und nicht ohne Humor. Dabei erweist sich der Künstler als Meister der Reduktion auf das Wesentliche, denn seine Malerei ist von brillanter Einfachheit und eleganter Direktheit. Oft blicken die Menschen und Tiere den Betrachtenden eindringlich und entrückt zugleich an.
Trotz zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen und legendarischer Überlieferungen weiß man kaum etwas über Pirosmanis Bilder, ihre Bedeutung, ihre Vorbilder, die Modelle, Auftraggeber und Käufer, ihre Entstehungsjahre und -orte. Wenn seine Werke auch von einer Existenz künden, deren Humanität ebenso universell wie übernatürlich ist, sind seine künstlerischen An- und Absichten doch in einer Masse verborgen geblieben wie bei kaum einem anderen angesehenen Künstler des 20. Jahrhunderts.

Es gibt unzählige fantastische Geschichten über den Menschen Niko Pirosmani, aber nur wenig gesicherte Fakten. Der früh verwaiste Bauernsohn aus der Provinz Kachetien kommt 1870 in die Hauptstadt Tbilissi, wo er bei einer wohlhabenden Familie lebt und Bildung erhält. Das Malen bringt er sich selbst bei, er erlernt den Beruf eines Schriftsetzers, arbeitet für die Transkaukasische Eisenbahn, betreibt einen Milchladen und fertigt Schilder und Porträts im Auftrag.
1912 entdecken der Dichter Michail Le-Dantju und die Avantgarde-Künstler Kirill und Ilja Sdanewitsch die Bilder von Pirosmani in den Tavernen des aufstrebenden Tbilissi, die damals Zentren des kulturellen Lebens sind. Die von seiner Kunst begeisterten Sdanewitsch-Brüder sammeln die Werke des autodidaktischen Malers und beginnen ihn zu fördern. Le-Dantju bezeichnet ihn als «georgischen Giotto». Pirosmanis Bilder werden schon 1913 in der einflussreichen Ausstellung «Zielscheibe» in Moskau gemeinsam mit jenen von Marc Chagall, Natalja Gontscharowa und Kasimir Malewitsch gezeigt.
Obwohl er keine Kunstakademie absolviert hat, wird er 1916 zum Beitritt in die Gesellschaft der georgischen Künstler eingeladen, der er jedoch bald schon wieder den Rücken kehrt. Er lebt als vagabundischer Bohémien in den Tavernen von Tbilissi und kann oder will sich in nicht in der Gesellschaft einordnen. Schliesslich stirbt Niko Pirosmani um 1918 verarmt. Sein Grab ist unbekannt. Viele Werke gehen verloren, andere werden nach der Annektierung Georgiens durch die Sowjetunion verstaatlicht.

Bereits wenige Jahre nach seinem Tod publizieren Avantgarde-Künstler-/innen und Schriftsteller-/innen zu Pirosmani, recherchieren sein Leben und analysieren seine Kunst. In den nachfolgenden Jahrzehnten werden ihm Ausstellungen, Bücher und Filme gewidmet.
Eine Ausstellung seiner Werke in der Kunstweltstadt Paris fällt dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum Opfer und wird erst 1969 nachgeholt. 1972 fertigt Pablo Picasso eine Radierung anlässlich einer Publikation zu Pirosmani.
Oft titulierte man diesen unzutreffend als «Rousseau des Ostens», manchmal wurde er fragwürdiger Weise als «moderner Primitiver» gefeiert oder – ganz im Sinne des van-Gogh-Narrativs – entweder als verrückter Eigenbrötler diffamiert oder aber als verkanntes Genie verklärt.
Fondation Beyeler, Riehen/Basel, http://www.fondationbeyeler.ch
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