Jiny Lan und ihre „sprechende“ Terrakotta-Armee

„Himmelsfragen“ heißt die spektakuläre Ausstellung der deutsch-chinesischen Künstlerin Jiny Lan, die im Weilburger Rosenhang Museum zu sehen ist.

Zierlich, aber äußerst selbstbewusst wirkt Jiny Lan inmitten der 1,80 Meter hohen und 180 Kilogramm schweren, originalgetreu nachgebildeten Terrakotta-Krieger des Kaisers Qin Shi Huang. Links und rechts an den Wänden hängen zwei 13 Meter bzw. 12 Meter lange Rollbilder. Darauf hat die chinesisch-deutsche Künstlerin Jiny Lan das Gedicht „Himmlische Fragen“ des legendären chinesischen Poeten Qu Yuan (339 – 278 v. Chr.) aufgetragen – mit Bergen und Flüssen als Hintergrund.

Im zentralchinesischen Mausoleum Qin Shi Huang, wo die Original-Terrakotta-Armee zu sehen ist, stehen die knapp 8000 Figuren in Reih und Glied und blicken schnurgerade nach vorne, zu ihrem Kaiser. Diese Krieger sind das Symbol der uneingeschränkten Macht, der totalitären Herrschaft ihres Kaisers Qin Shin Huang. Seine Untertanen sind ihm zu ewigem Gehorsam verpflichtet. Eine eigene Meinung, ein eigener Wille sind strengstens verboten. Dabei haben des Kaisers Krieger eigene Gesichtszüge. Sie unterscheiden sich. Es sind Individuen. Sie könnten miteinander in einen Dialog treten.

In der Installation von Jiny Lan stehen sich die Krieger in einem Kreis gegenüber. Ihr Kunstraum wird zu einer parlamentarischen Bühne, wo sie miteinander debattieren können, Fragen stellen und Antworten erhalten. Himmlische und irdische. Die Krieger und das kalligraphisch visualisierte Gedicht des Poeten Yuan verschmelzen mit dem Raum zu einem großen Ganzen. In diesem Raum wird Freiheit spürbar. Und der Wille zu einem selbstbestimmten Leben, wo Fragenstellen nicht mehr gleichbedeutend ist mit Kerker oder Tod.

Jiny Lans Ausstellung ist von einer zeitlosen Aktualität. Ihr Herzensthemen sind die Sehnsucht und der Kampf des Menschen nach Freiheit und Demokratie. Nach einem Leben, wo jeder und jede unbedrängt alles befragt – und gleichzeitig auch alles in Frage stellen darf.

Lan thematisiert diesen ständigen Widerstreit zwischen totalitärem Herrschaftsanspruch und individuellen Freiheitsträumen in einer auf- und anregenden künstlerischen Mixtur aus multimedialer Installation, kombiniert mit Performances und 23 großformatigen Bildern.

Jiny Lans Großmutter war noch Mitglied der letzten kaiserlichen Familie. Ihre Enkelin, heute eine international renommierte Künstlerin, spiegelt und erlebt in ihrer Vita diesen ewigen Kampf zwischen totalitärem Staat und dem individuellen Streben nach Freiheit und Selbstbestimmung.

Heute wohnt Lan, die seit 1999 deutsche Staatsbürgerin ist, mit ihrer Familie in Bochum und arbeitet sowohl zuhause wie in ihren Ateliers in Düsseldorf, Berlin und Bochum. Regelmäßig pendelt sie zwischen China (wo sie am 3.5.1970 als Lan Jing in Xiuyan, Provinz Liaoing geboren wurde) und Deutschland. Ihr heutiger Vorname Jiny ist einem Versehen der Passbehörden geschuldet, die Jiny statt Jing in ihren Pass eintrugen.

Ausstellung bis 31.01.2024, Rosenhang Museum, Weilburg/Lahn, http://www.rosenhangmuseum.de

(Fotos: Antje Helbig)