Mit dieser Ausstellung zu Carl Spitzweg (1808-1885) begab sich das Museum Georg Schäfer auf Spurensuche nach diesem roten Schirm, der von der Forschung bislang unentdeckt geblieben ist und der sich in seiner Bedeutung von eminenter Tragweite für das Verständnis der Bilder Spitzwegs erweist.


Denn dieser rote Schirm gibt ein Rätsel auf: Von 1835 bis 1880 malt der vom Theater und der Symbolsprache der barocken niederländischen Kunst begeisterte Spitzweg ihn wie ein Requisit immer wieder in seine Bilder hinein. Neben der Häufigkeit sind es vor allem die Beiläufigkeit und die scheinbare Belanglosigkeit, die ihn in den Vordergrund treten lassen.
1835 sticht der rote Schirm Spitzweg vermutlich bei den öffentlichen Feierlichkeiten zur Silberhochzeit Ludwig I. auf der Münchner Theresienwiese ins Auge, wo Paare aus unterschiedlichen deutschen Regionen bäuerliche Hochzeitszeremonien nachstellen. Der rote Schirm gehört dabei zur Ausstattung der Hochzeitslader und Hochzeitsladerinnen im schwäbischen Raum. Im Vergleich zu anderen Malern geht es Spitzweg indes nie um das Berufsfeld an sich. Von Anbeginn isoliert er den roten Schirm aus seinem Kontext und verschleiert mit ihm, – was er auch vor sich selbst am meisten zu verbergen sucht – seine immerwährende Liebessehnsucht.

Wie seine anderen Liebessymbole und Liebesbriefe, wie die Motive Blumen oder Kränze, verbindet er den roten Schirm mit seinen eigenen Vorstellungen und spielt spitzfindig mit dessen erotischer Konnotation. Mit Gewitztheit und Komik inszeniert Spitzweg darüber hinaus auch Schirme aus der Modewelt als absurdes Macht- und Herrschaftsinstrument, denn der Schirm entwickelte sich aus Baldachinen und Traghimmeln in religiösen und höfischen Bereichen.
Spitzweg zeigt sich auf diese Weise einmal mehr als brillanter und bissiger Interpret seiner Zeit, dessen Aktualität bis heute ungebrochen ist. Vor allem der gesellschaftlichen Oberschicht hält der Sohn eines vermögenden Großkaufmanns mit der Schirm-Metaphorik auf höchst humorige und amüsante Weise den Spiegel vor, denn in der Zeit Spitzwegs gehörten Parapluies und Parasols zu den Repräsentationsobjekten der gehobenen Gesellschaftsschicht.
Bei seinen Wanderungen durch die Natur und auf seinen vielen Reisen, insbesondere nach Italien, nimmt Spitzweg die dortige Natur- und Volksnähe wahr, erfährt Sinnlichkeit, Leidenschaft und romantische Liebe, die in Deutschland einem von wirtschaftlichen Interessen geleiteten großbürgerlichen Ehemodell entgegenstehen. Der frühe Tod des Vaters, der ihm im Alter von 20 Jahren ein reiches Erbe hinterlässt, und die in Italien 1832 getroffene Entscheidung, seinen Apothekerberuf an den Nagel zu hängen und Künstler zu werden, ermöglichen es ihm, dem gehobenen Bürgertum den Rücken zu kehren und dem Zwang einer arrangierten Ehe zu entgehen.

Freunde sagen dem lebenslang unverheirateten Spitzweg viele “Amouren und Amürchen” nach. Meistens sind es die Frauen der unteren Stände, die Dienstmädchen und Wäscherinnen mit weißen Schürzen und die jungen Sennerinnen, denen er im Wald begegnet, die seine Leidenschaft entfachen und die er auf seinen Bildern und erotischen Zeichnungen festhält. Für sie gelten nicht jene strengen Moralkodizes, die das Leben der Frauen der gehobenen Stände bestimmen, die von ihren Familien wirtschaftlich lohnend verheiratet werden sollen. Spitzweg, ganz Kind seiner Zeit, gelingt es noch nicht, diesen oft distanzlosen Blick auf die Frau zu überprüfen, denn Geschlechterrollen und Sexualität werden die öffentlichen Diskurse erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigen. Dem weiblichen Körper huldigt er ganz unverfroren mit männlichem Blick. Dass es eine Frau der unteren bürgerlichen Schichten ist, mit der er sich eine Ehe vorstellen kann, ist daher wenig verwunderlich. Vermutlich Anfang der 1840er Jahre lernt er auf dem Oktoberfest die verheiratete Tischlermeistertochter Clara Lechner kennen, für die er alle gesellschaftlichen Ressentiments über Bord wirft. Tragischerweise verstirbt sie, bevor sie geschieden ist und er sie ehelichen kann.


Mit der vielschichtigen Symbolik des roten Schirms und anderer modischer Schirmmodelle nimmt Spitzweg in seiner Malerei nicht nur die bürgerliche Gesellschaft und deren Moral aufs Korn, sondern gibt auch viel über seine persönlichen Erfahrungen und seine Einstellungen zu Liebe und Ehe preis. Wie er selbst sind auch seine Bildfiguren nicht vor Amors Pfeilen sicher, die stürmischen Verführer, schüchternen Verehrer und vor Liebe närrisch Gewordenen, die schrulligen Kaktusliebhaber und die einsamen Wissenschaftler, Jäger und Sennerinnen, bürgerliche Damen und Herren, Apotheker und Mineralogen, ja selbst Eremiten, Mönche und Pfarrer sind der “Liebe” hilflos ausgeliefert und müssen sich mit Verlust, Verzicht und unerfüllter Liebe auseinandersetzen.
Gezeigt wurden über 100 Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Druckgrafiken aus dem Bestand des Museums Georg Schäfer sowie aus anderen renommierten Spitzwegsammlungen aus dem In- und Ausland: etwa dem Grohmann Museum in Massachusetts, USA, den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München, dem Salzburg Museum, Österreich, dem Städelschen Kunstinstitut, Frankfurt a. Main, der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und aus einigen Privatsammlungen, die namentlich nicht genannt werden möchten.
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