
Zeitgleich mit ihrem hundert dreißigsten Geburtstag zeigt das LVR-Industriemuseum in der St. Antony-Hütte in Oberhausen erstmals Arbeiten der Fotografin Anne Winterer (1894–1938). Die Ausstellung führt mit über 60 Aufnahmen in vergangene Lebenswelten an Rhein und Ruhr und ermöglicht eine Wiederentdeckung der früh verstorbenen Fotografin mit ihrem besonderen Blick für Menschen und Orte.
Die in Konstanz geborene Anne Winterer gründete 1925 gemeinsam mit Erna Hehmke (1905–1992) die „Lichtbildwerkstatt Hehmke-Winterer“ in Düsseldorf, welche die beiden Frauen zehn Jahre lang zusammen betrieben. In dieser Zeit entstanden verschiedene Fotoserien mit einem breiten Spektrum an Motiven. Sie zeigen Menschen und Industrie im Ruhrgebiet, Landschaften am Niederrhein, aber auch Alltag und Freizeit der 1920er und 1930er Jahre. 1935 zog Anne Winterer zurück an den Bodensee, wo sie Aufnahmen unter ihrem Namen veröffentlichte.
Im Auftrag verschiedener Industrieunternehmen und Verlage führte Anne Winterer regelmäßig umfangreiche Bilddokumentationen aus. Eine Auswahl von Industrieaufnahmen, etwa der Gutehoffnungshütte (GHH) in Oberhausen, steht in der Ausstellung stellvertretend für diesen wichtigen Bildbestand im Werk der Fotografin. Winterer rückte aber auch immer nah an die Menschen heran und fing Momente außerhalb der Industriebetriebe ein, wie beim „Taubenvater“, dem Lehrjungen auf der Leiter beim Blumengießen, den Menschen auf der Kirmes oder dem jungen Paar vor einer Industrieanlage. Andere Fotografien aus ihrer Lichtbildwerkstatt, die nicht zum Bestand des LVR-Industriemuseums gehören, wurden für propagandistische Zwecke der Nationalsozialisten genutzt. Ihre politische Haltung in der NS-Zeit ist bisher nicht eindeutig geklärt.


Die Fotos geben erstmals einen Einblick in das Werk der Fotografin, das sich mit rund 900 Fotografien und Dokumenten im Bestand des LVR-Industriemuseums befinden. Neben den Aufnahmen werden einige der wenigen erhaltenen persönlichen Dokumente Winterers ausgestellt. Die Ausstellung ist eine Wiederentdeckung und Sichtbarmachung des fotografischen Lebenswerks der einst bekannten wie anerkannten Fotografin. Gleichzeitig sind Anne Winterers Aufnahmen bemerkenswerte Zeugnisse vergangener Lebenswelten an Rhein und Ruhr.



Dass Frauen beauftragt wurden, Schmelzöfen, Maschinenanlagen und Bergwerke zu fotografieren, mutet zunächst ungewöhnlich an, gilt doch die Industriedarstellung als „männliche Domäne“. Mit dem in den 1920er Jahren deutlich angestiegenen Bedarf an Bildern für die illustrierte Presse wuchs die Nachfrage nach Industrieaufnahmen für Werkszeitschriften und andere Presseerzeugnisse stetig an. Damit eröffnete sich auch für Frauen die Möglichkeit, sich in diesem Berufsfeld zu etablieren. Neben den bekannten Vertretern der Industriefotografie wie Albert Renger Patzsch, Heinrich Hauser oder Josef Stoffels wurden so Anne Winterer, Erna Wagner Hehmke und Ruth Hallensleben zu wichtigen Chronistinnen des Ruhrgebiets.
Ausstellung bis 22.06.2025, LVR-Industriemuseum St. Antony-Hütte, Oberhausen
http://www.industriemuseum.lvr.de
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.