Die Linie in der Kunst – ein zentrales Gestaltungsmittel im Wandel

Die große Herbstausstellung in der Heidi Horten Collection widmet sich einem Grundelement der bildenden Kunst: der Linie. Sie durchzieht die Kunstgeschichte als zentrales Ausdrucksmittel und nimmt je nach Zeit, Medium und künstlerischer Intention vielfältige Rollen ein. Die Linie definiert Formen, strukturiert Flächen, markiert Grenzen und schafft Verbindungen.

Zentraler Ausgangspunkt der Ausstellung ist ein Text von Paul Klee aus dem Jahr 1920, in dem er eine „kleine Reise“ über das Zeichenblatt beschreibt. Diese metaphorische Linienreise dient als Leitmotiv der Präsentation: Von der traditionellen Zeichnung über die befreite Linie der Abstraktion bis hin zur raumgreifenden oder performativen Spur im erweiterten Kunstbegriff des 20. und 21. Jahrhunderts.

Gezeigt werden Werke, die die Entwicklung der Linie von der formgebenden Kontur bis zur autonomen, „konkreten“ Linie dokumentieren – etwa im Futurismus, Suprematismus, Konstruktivismus oder im Kontext von De-Stijl und Bauhaus. Die Linie wird hier nicht länger der Wiedergabe der sichtbaren Welt untergeordnet, sondern zum eigenständigen Ausdrucksmittel.

Ein wesentliches Kapitel widmet sich der Ablösung der Linie von der Fläche: Mit neuen Medien und Formen wie Installation, Environment, Assemblage oder Performance gewinnt sie räumliche Autonomie. Die Linie wird dreidimensional, greift in soziale Kontexte ein, reflektiert gesellschaftliche Themen und ist als Grenze oder Verbindung interpretierbar – etwa im Hinblick auf Inklusion, Exklusion oder politische Dynamiken.

Ein exemplarisches Werk ist Richard Longs ikonische Arbeit A Line Made by Walking (1967), in der eine durch wiederholtes Gehen erzeugte Spur im Gras zur performativen Linie wird. Anstelle eines Stifts hinterlässt der Künstler seine eigene physische Bewegung als Spur im Raum – eine Fortführung der Reise, die Paul Klee einst beschrieben hat.

Die Ausstellung versteht sich als Versuchsanordnung zur Linie: Sie zeigt deren Entwicklung, mediale Transformation und inhaltliche Bedeutungsvielfalt anhand von Arbeiten aus unterschiedlichen Jahrzehnten und künstlerischen Kontexten. Dabei verfolgt sie kein enzyklopädisches Konzept, sondern eröffnet thematische Kapitel zu Aspekten wie Form und Kontur, Schrift, Bewegung, Raum sowie Grenze und Verbindung.

Mit Werken u. a. von Paul Klee, Richard Long und vielen weiteren Positionen bietet die Ausstellung einen vielschichtigen Blick auf eines der fundamentalsten Werkzeuge der Kunst.

Intervention Chiharu Shiota

Mit einer raumgreifenden, ortsspezifischen Installation überführt Chiharu Shiota die Linie in eine dreidimensionale Form, die sich als dichtes Netz im Museumsbau präsentieren wird. Als Teil der Ausstellung „Die Linie“ setzt sich Shiotas „Raumzeichnung“ mit dem Ungreifbaren auseinander:

Erinnerung und Trauer, aber auch mit der Verbindung zwischen den Menschen. Die Intervention wird ihren Ausgangspunkt in Form eines partizipativen Projekts mit den Besucher/innen des Museums finden.

 
Ausstellung bis 08.03.2026, Heidi Horton Collection, Wien,

Bilder:
Oben: Fred Eerdekens, Line, 2008 (Privatsammlung)
Mitte: Antony Gormley, Quantum Cloud XXXVII, 2001, Bildrecht, Wien 2025 (Foto: Heidi Horten Collection)
Unten: Chiharu Shiota, I hope…, 2021 Installationsansicht König Galerie, Berlin Foto: Sunhi Mang / Bildrecht 2025