Here We Are! Frauen im Design 1900 – heute

Ob als Gestalterinnen von Möbeln, Mode oder Industrieprodukten, als Innenarchitektinnen oder Unternehmerinnen – Frauen haben entscheidende Beiträge zur Entwicklung des modernen Designs geleistet. In den Geschichtsbüchern des Designs kommen sie jedoch viel seltener vor als Männer. Mit dieser Ausstellung will das Vitra Design Museum dazu beitragen, dies zu ändern. Die Ausstellung präsentiert Gestalterinnen der letzten 120 Jahre und erzählt vor dem Hintergrund des Kampfs um Gleichberechtigung eine neue, vielstimmige Designgeschichte. Gezeigt werden Werke von rund 80 Designerinnen, darunter Protagonistinnen der Moderne wie Eileen Gray, Charlotte Perriand, Lilly Reich oder Clara Porset, Unternehmerinnen wie Florence Knoll und Armi Ratia, aber auch weniger bekannte Persönlichkeiten wie die Sozialreformerin Jane Addams. Zeitgenössische Positionen werden durch Designerinnen wie Matali Crasset, Patricia Urquiola, Julia Lohmann oder das Kollektiv Matri-Archi(tecture) vertreten und führen BesucherInnen in die Gegenwart und Zukunft.

Heute ist rund die Hälfte der Designstudierenden weiblich, und Frauen sind in vielen zukunftsweisenden Designbereichen federführend. Anhand einer Vielzahl hochkarätiger Exponate verfolgt die Ausstellung das kreative Schaffen und die Arbeitsbedingungen von Frauen im Design von der frühen Moderne bis in die Gegenwart – von den ikonischen Objekten einer Eileen Gray über bislang kaum bekannte Neuentdeckungen bis hin zu heutigen Aktivismus-Netzwerken und feministischer Designforschung. So entsteht eine
Standortbestimmung zu einem gesellschaftlich hochaktuellen Thema, die das moderne Design in einem neuen Licht erscheinen lässt.

Die Ausstellung gliedert sich in vier Bereiche, die die Museumsgäste auf eine Reise durch die letzten 120 Jahre Designgeschichte mitnehmen. Im ersten Bereich liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung des Designs in Europa und den USA, wo um 1900 das Berufsbild des modernen Designs entstand – zur gleichen Zeit, als Frauen öffentlich für mehr politische Mitbestimmung kämpften. Diese Emanzipationsbestrebungen spiegelten sich auch im Design, etwa in der Arbeit der Sozialreformerinnen Jane Addams und Louise Brigham, die heute unter den Begriff »Social Design« fiele. Zur gleichen Zeit prägte die New Yorkerin Elsie de Wolfe das damals neue Berufsfeld der Innenarchitektur. Auch die Werke von Gestalterinnen am Bauhaus, an den russischen Wchutemas-Schulen oder den Deutschen Werkstätten in Dresden-Hellerau werden hier untersucht. Dabei wird deutlich, dass sich Frauen in den Gestaltungsberufen aufgrund besserer Ausbildungsbedingungen zwar zunehmend professionalisierten, andererseits aber noch oft in traditionelle Rollenbilder gedrängt wurden.

Der zweite Ausstellungsbereich widmet sich den 1920er- bis 1950er-Jahren. In dieser Ära konnten die ersten Designerinnen in der nach wie vor patriarchalischen Gesellschaft internationale Erfolge verbuchen: neben Charlotte Perriand, Eileen Gray oder Clara Porset auch die Creative Director Jeanne Toussaint, die jahrzehntelang die Kollektionen des Schmuckhauses Cartier prägte und als führende Persönlichkeit der Pariser Luxusindustrie gilt. Einige der in der Ausstellung porträtierten Designerinnen arbeiteten eng mit ihrem Partner zusammen, etwa Ray Eames mit ihrem Mann Charles oder Aino Aalto mit Alvar Aalto. Oft standen die Designerinnen dabei im Schatten der Designer, doch die Ausstellung zeigt, dass sie in vielen Fällen deutlich wichtigere Beiträge zu dem gemeinsamen Werk leisteten als bislang bekannt war. Bekanntestes Beispiel hierfür ist Charlotte Perriand, deren Anteil an den legendären Möbelentwürfen, die sie mit ihrem berühmten Kollegen Le Corbusier entwickelte, in den letzten Jahren völlig neu bewertet wurde. Andere hier gezeigte Designerinnen arbeiteten zeitlebens unabhängig – so etwa die Keramikerin Eva Zeisel, die schon 1946 eine Einzelausstellung im New Yorker Museum of Modern Art hatte.

Der dritte Bereich thematisiert die Jahrzehnte von 1950 bis Ende der 1980er-Jahre, in denen insbesondere ab den 1960er-Jahren eine zweite Welle des Feminismus der konservativen Nachkriegsmentalität entgegentrat. Beispiele wie die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) von 1958 zeigen, dass Frauen auch im Design häufig mit häuslichen Tätigkeiten assoziiert wurden, trotz solcher Einschränkungen aber oft außerordentliche Werke produzierten. Die Ambivalenz und Umbrüche dieser turbulenten Jahrzehnte zeigen sich auch in den poppigen Marimekko-Designs der 70er-Jahre oder den postmodernen, teilweise spektakulären Objekten italienischer Designerinnen wie Nanda Vigo, Gae Aulenti oder Cini Boeri.

Mit dem vierten Bereich kommt die Ausstellung in der Gegenwart an. Werke international etablierter Designerinnen wie Matali Crasset, Patricia Urquiola oder Hella Jongerius belegen, dass Frauen im Design heute ebenso selbstverständlich international erfolgreich sind wie Männer. Manche Designerinnen sprengen sogar die etablierten Grenzen ihrer Disziplin und tragen maßgeblich dazu bei, das Design neu zu definieren. Zu ihnen zählt Julia Lohmann, die Meeresalgen als neues, nachhaltiges Material erforscht, ebenso wie Christien Meindertsma, die Produktionsprozesse kritisch hinterfragt. Zugleich präsentiert dieser Ausstellungsbereich eine Auswahl aktueller Initiativen, die veranschaulichen, wie der feministische Diskurs in Design und Architektur die Muster von Autorenschaft, Ausbildung und Anerkennung hinterfragt und mit Diversität und Intersektionalität in Zusammenhang stellt. So thematisiert das Kollektiv Matri-Archi(tecture) in der eigens für die Ausstellung geschaffenen Arbeit »Weaving Constellations of Identity« die persönlichen Erfahrungen afrikanischer und Schwarzer Designerinnen, während zahlreiche Netzwerke und Publikationen den etablierten Kanon des Designs zur Diskussion stellen.

In der Zusammenschau all dieser Positionen ist die Ausstellung so vielfältig wie die Diskussionen zum Feminismus in unserer heutigen Gesellschaft. Sie bietet damit einen neuen, zeitgemäßen Blick auf die Geschichte moderner Gestaltung und aktuelle Debatten und liefert Denkanstöße dafür, was Design im 21. Jahrhundert sein soll, wer es definiert und für wen es da ist.

Ausstellung bis 06.03.2022, Vitra Design Museum
http://www.design-museum.de

Bilder:
Oben: Ray Eames bei der Arbeit an einem Modell, 1950, © Eames Office LLC
Oben Mitte: Charlotte Perriand, ohne Titel / Bibliothèque Tunisie, 1952, Vitra Design Museum, Foto: Jürgen Hans, © VG Bild-Kunst, Bonn 2021
Unten Mitte: Clara Porset, Butaca, ca. 1948, Vitra Design Museum, Foto: Jürgen Hans / Grete Jalk, No. 9-1 / GJ Stuhl, 1963, Vitra Design Museum, Foto: Jürgen Hans / Cini Boeri, Ghost, 1987, Vitra Design Museum, Foto: Jürgen Hans
Unten: Greta von Nessen, Schreibtischlampe Anywhere, 1952, Vitra Design Museum, Foto: Andreas Jung / Aino Aalto, Glasserie Bölgeblick, 1932, Vitra Design Museum, Foto: Andreas Sütterlin / Alma Siedhoff-Buscher, Bauhaus Bauspiel, 1923 (2015) Naef Spiele, Schweiz, Foto: Heiko Hillig / Greta Magnusson Grossman, Grasshopper, 1947 Vitra Design Museum, Foto: Andreas Jung