Klasse und Masse. Kunststoffdesign im Alltag

Die neue Ausstellungim Peter-Behrens-Bau/ LVR-Industriemuseums zeigt die vielfältigen Möglichkeiten dieses Werkstoffs vom billigen Ersatzstoff und Massenprodukt bis zur Hightech-Komponente und Designikone. Kunststoffe sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Untrennbar mit industrieller Massenproduktion verbunden, begleiten sie technische Entwicklungen und eröffnen Designer*innen ungekannte Freiheiten in der Gestaltung. Ob Volksempfänger, Trabant, Panton Stuhl, Bobby Car oder iMac: Kunststoffprodukte sind Teil des kollektiven Gedächtnisses geworden und haben ihren Weg ins Museum gefunden.

Was immer wir im Alltag tun – Sitzen, Fahren, Sprechen, Hören, Sehen, Schreiben, Essen, Trocknen, Anziehen –, überall begleiten uns Kunststoffe. Für jeden Bereich zeigt die Ausstellung Klassiker der Designgeschichte, wie den komplett aus Kunststoff gefertigten „Panton Stuhl“ – eine Ikone der Pop-Ära, den der Designer Verner Panton in den 1960ern entwickelte. Oder das „Bobby Car“, das sich seit seiner Markteinführung 1972 großer Beliebtheit erfreut. 1995 gab es davon sogar eine „Art Edition“ aus Recycling-Material, die von namhaften Künstlern gestaltet wurde. Auch Vorgänger, Nachfolger oder alternative Entwürfe von Designklassikern werden gegenübergestellt und so hinterfragt: Waren die Entwürfe bekannter Designer wirklich beispiellos? Haben nicht auch das sogenannte anonyme Design, die Werksentwürfe, wichtige Beiträge zur Geschichte der Gestaltung geliefert? Die Ausstellung versteht sich zugleich als Beitrag zur Designgeschichte unter dem Aspekt des Materials.

Aber nicht nur Design-Ikonen zeigen die unerschöpflichen Gestaltungsmöglichkeiten der Kunststoffe im Zusammenspiel mit dem Produktdesign. Kunststoffe lassen sich in fast jede gewünschte Form bringen und sind im Vergleich zu traditionellen Materialien leicht. In ihrem Erscheinungsbild bieten sie alle Möglichkeiten, von farblos und durchsichtig bis hin zu knallbunt, strukturiert und gemustert. So kann der Spielzeugroboter „Mr. Machine“ von 1977 dank transparenter Kunststoffe sein mechanisches Innenleben offenbaren.

Nicht immer gelingt ein Durchbruch auf Anhieb. Das einst „schlechteste Fahrrad der Welt“, 1982 von schwedischen Ingenieuren aus Polyamid gebaut, wollte zukunftsweisend sein. „Itera“ wurde ein Flop, wegen der noch nicht ausgereiften Materialeigenschaften, aber auch der schlechten Vermarktung. Doch heute sind Fahrradrahmen aus mit Carbonfasern verstärktem Kunststoff insbesondere bei Profi-Rennrädern etabliert.

Ungewöhnliche Formen aus dem 3D-Drucker oder Produkte aus biobasierten Kunststoffen, die auf der Basis nachwachsender Rohstoffe hergestellt werden, zeigen, wohin die Entwicklung in Zukunft geht. Der Hocker „Terra“ repräsentiert ein Beispiel für ein Objekt, das für die Formgebungsfreiheit steht, die der 3D-Druck bietet. Am Beispiel von Mehrwegbehältern, die Anbieter von Speisen und Getränken den Verbrauchern neben Einwegverpackungen ab 2023 zur Verfügung stellen müssen, werden in der Ausstellung Entwicklungen im Bereich Essen ToGo aufgezeigt. Die Herausforderung ist, eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft zu schaffen, die andere Kunststoffe, neue Produkte und Mehrwegsysteme ermöglichen wird.

Die ausgestellten Objekte gehören zur Sammlung des Deutschen Kunststoff-Museums. Seit 2017 hat diese als Dauerleihgabe im LVR-Industriemuseum eine Heimat gefunden. Zuletzt war sie Gegenstand des Forschungsprojekts „KuWerKo. Kunststoffe – ein moderner Werkstoff im kulturgeschichtlichen Kontext“. Wissenschaftler-/innen aus mehreren Disziplinen gingen in der Sammlung auf detektivische Spurensuche, um Objekten ihre Geschichte zu entlocken und zu verstehen, wie sie sich während ihrer Nutzung und danach verändern. Die Ausstellung „Klasse und Masse“ präsentiert erstmals Ergebnisse dieses Forschungsprojekts.

Ausstellung bis 23.12.2023 LVR-Industriemuseum, Peter-Behrens-Bau, Oberhausen

http://www.industriemuseum.lvr.de/klasseundmasse

Bilder:
Oben: Der Klassiker und Design Dauerbrenner: Panton Stuhl, Entwurf: Verner Panton, 1962, Herman Miller Furniture Company, Schweiz ,1971
Mitte: li: Big-Bobby-Car, Entwurf 1971, Hersteller: Big Spielwarenfabrik Ernst A. Bettag, Fürth, 2016, LVR-Industriemuseum (Foto: Jürgen Hoffmann)
Mitte: re: Big-Bobby-Car, Entwurf 1971, Hersteller: Big Spielwarenfabrik Ernst A. Bettag, Fürth, 2016, LVR-Industriemuseum, Foto: Jürgen Hoffmann
Unten: Hocker „Terra“, 3-D-Druck, Berlin, 2019, Prototyp eines Hockers in organischen Forme, LVR-Industriemuseum (Foto: Jürgen Hoffmann)