



Eine Frau, die unter vollem Körpereinsatz mit einer Steinschleuder einen riesigen Polyeder zu manövrieren versucht, der Albrecht Dürers MelencoliaI von 1514 entnommen ist; ein Mädchen mit Hijab, das mit seinem Seil eine kompositorische Hommage an Keith Haring erspringt; ein Paar, das unter einem weißen Lebensbaum auf einer verbrannten Mauer kämpft und sich wieder versöhnt: Für die Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg wagt sich der südafrikanische Künstler Robin Rhode (*1976) in wahrsten Sinne des Wortes auf neues Terrain, in die geschichtsträchtige Stadt Jericho mitten in der israelisch-palästinensischen Konfliktregion.
Auf alten Mauern aus der Zeit des Osmanischen Reiches sind im März 2019 neue Werke für seine Wolfsburger Ausstellung entstanden, die gewohnt subtil die Geschichte Jerichos, die drei ortsansässigen Religionen und den Nahostkonflikt thematisieren. Dabei bleibt Robin Rhode dem Alleinstellungsmerkmal seines multimedialen Werkes treu: der spannungsvollen Kombination aus Linie, Körper und der Wand als Bildträger. Schritt für Schritt entwickelt und verlebendigt er die Linie durch die performative Interaktion mit dem Körper, bis sie eine abstrakte Form oder ein Objekt definiert.
Sein Markenzeichen ist die Wand, die für ihn in den letzten acht Jahren in einem sozialen Brennpunktviertel in Johannesburg stand. Der Einfluss urbaner Musikkultur, Film, populärer Sportarten, Jugendkultur und die lokale Tradition des Geschichten Erzählens haben die Entwicklung der für Robin Rhode zunächst typischen Street-Art-Ästhetik beeinflusst.




Im Gegensatz zur Street-Art und Graffiti-Kunst geht es ihm jedoch nicht darum, was er im urbanen Kontext zurücklässt, sondern um den Prozess. Das Kunstwerk ist die fotografische Dokumentation der Entstehungsphasen seiner Narrative. Geboren in Kapstadt und aufgewachsen in Johannesburg studierte Robin Rhode zunächst Kunst am Technikon Witwatersrand, heute University of Johannesburg, gefolgt von einem Postgraduiertenprogramm an der South African School of Film, Television and Dramatic Art im Jahr 2000. Der Blick zurück ergibt sich für ihn schon allein aus seiner Biografie, denn seit 2002 lebt er in Berlin. Trotz der räumlichen Distanz spielen die Geschichte und die Gegenwart Südafrikas für ihn nach wie vor eine entscheidende Rolle.

Die Erinnerung ist für ihn sowie für den Dichter und Anti-Apartheid-Aktivisten Don Mattera (*1935), dessen Autobiografie der Ausstellungstitel entnommen ist, eine metaphorische Waffe, die der Auseinandersetzung mit hybrider Identität dient. So verhandeln die ausgestellten Werke Robin Rhodes nicht nur offenkundige Themen wie Sport, Musik, Design, Geometrie, Farbenlehre und Religion, sondern auch sozialpolitische Aspekte, wie insbesondere die Geschichte der „Coloured Communitys“ in Südafrika, die Robin Rhode nicht zuletzt auch aufgrund seiner eigenen Familiengeschichte ein besonderes Anliegen ist.
Seine Bildsprache und -inhalte sind ein konzeptueller Spagat zwischen südafrikanischer Geschichte, Kultur, Mentalität sowie ihren Zeichen und Codes und dem visuellen Vokabular der europäisch-amerikanischen Moderne. Im Gegensatz zu den farbgewaltigen Wandarbeiten, die bis dato in Südafrika entstanden sind, erkundet er in Deutschland schwarz-weiße Zugänge zur Zeichnung. Hier zeichnet er nicht nur mit Seife, Kohle, Kreide und Farbe, sondern Alltagsgegenstände selbst wie Stühle, Fahrräder oder Betten werden zum performativen Zeicheninstrument.
Die expressiven Zeichnungen, die er während seinen energiegeladenen Performances spontan entwickelt, stehen im Gegensatz zum perfektionierten Illusionismus und der intendierten Leichtigkeit seiner aufwändigen Wandarbeiten. Robin Rhode reduziert komplexe, bisweilen auch gesellschaftskritische oder -analytische Inhalte auf wenige visuelle Zeichen oder, wie er es ausdrückt, er vereinfacht das Chaos mit den Mitteln der Kunst.
28.09.2019-09.02.2020, kunstmuseum-wolfsburg.de


Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.