Peter Lindbergh: Untold Stories

Die Ausstellung „Untold Stories“ ist die erste von Peter Lindbergh selbst kuratierte Werkschau. Der renommierte in Duisburg aufgewachsene Fotograf hat zwei Jahre an der Präsentation gearbeitet und diese unmittelbar vor seinem Tod Anfang September 2019 fertiggestellt. Sein Vermächtnis ist noch bis zum 27. September 2020 im Kunstpalast Düsseldorf zu sehen.

Hello Linda, hi Naomi, bonjour Jeanne! Diese Aufnahmen wirken eher wie Ansichten von Freundinnen oder Verwandten, nicht wie Hochglanzporträts perfekt gestylter Supermodels und Schauspielerinnen. Beim Gang durch die wunderbare Schau im Kunstpalast wird deutlich: In Lindberghs Bildern steht das Interesse am Menschen im Vordergrund. Wir sehen junge Frauen ohne Makeup, beim Essen und Rauchen, in fantastischer Abendrobe vor einem tristen Hinterhof – die Realität hinter der Glamour-Kulisse. So entsteht ein anderer Blick auf die Welt der Mode: weniger stylish, aber ehrlich und damit umso faszinierender. Faszinierend auch, dass in der von Lindbergh bestimmten Hängung die Fashion-Fotos mit durchaus kritischen, teils sogar verstörenden Landschafts- und Städtemotiven kombiniert werden.

Auf diese Weise lädt Lindberghs Zusammenstellung von 140 Arbeiten aus den frühen 1980er-Jahren bis in die Gegenwart zum Entdecken vieler bislang unerzählter Geschichten ein – Kopfkino bei vielen der großformatig aufgezogenen Werke! Die Düsseldorfer Schau darf als Lindberghs persönliches Statement zu seinem Oevre gelten. „Als ich meine Fotos das erste Mal an der Wand im Ausstellungsmodell gesehen habe, habe ich mich erschreckt, aber auch positiv. Es war überwältigend, auf diese Art vor Augen geführt zu bekommen, wer ich bin“, so Lindbergh im Juni 2019 in einem Interview, das für den Ausstellungskatalog geführt wurde.

Mode als Gegenwartskultur
Ein Großteil der Aufnahmen wurde noch nie gezeigt; andere sind von Zeitschriften wie Vogue, Harper’s Bazaar, Interview, Rolling Stone, W Magazine oder dem Wall Street Journal in Auftrag gegeben und veröffentlicht worden. Mit seinen Werken ist es dem Starfotografen gelungen, den unmittelbaren Kontext von Modefotografie und zeitgenössischer Kultur zu überschreiten und neu zu definieren. „Durch die Ausstellung ergab sich die Möglichkeit, ausführlicher über meine Fotos in einem anderen als dem Modekontext nachzudenken. Ziel der Präsentation ist es, die Fotos zu öffnen für andere Lesarten und Perspektiven“, betonte Lindbergh. Für ihn war die Fotografie  viel größer als die Mode selbst, er sah sie als Bestandteil der Gegenwartskultur.“


Lindberghs unbekannte Seite
Den Abschluss der Schau stellt die Filminstallation „Testament“ (2014) dar, die eine fast unbekannte Seite des Schaffens des deutschen Fotografen offenlegt. Der durch einen Einwegspiegel aufgenommene Film zeigt eine stumme Auseinandersetzung zwischen Lindberghs Kamera und Elmer Carroll, ein in Florida zum Tode verurteilen Mörder. Carroll betrachtet 30 Minuten lang und ohne mimische Bewegung sein Spiegelbild.Die zum ersten Mal gezeigte Installation ergänzt die Ausstellung um eine unerwartete Bedeutungsschicht und stößt eine Debatte um Themen an, die zentral für Peter Lindbergh waren: Introspektion, Ausdruck, Empathie und Freiheit.

Die Ausstellung wird organisiert vom Kunstpalast, Düsseldorf, in Kooperation mit dem Peter Lindbergh Studio, Paris. Sie hat weitere Stationen im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (20. Juni bis 1. November 2020), im Hessischen Landesmuseum, Darmstadt (4. Dezember 2020 bis 7. März 2021), sowie im Museo d’Arte Contemporanea Donnaregina in Neapel (März bis Mai 2021). Zur Ausstellung erscheint bei TASCHEN ein 320 Seiten umfassender Katalog mit Texten von Felix Krämer, Peter Lindbergh, Wim Wenders. Gefördert wird die Ausstellung von Porsche Deutschland GmbH, LUMA Foundation, Christian Dior Parfums, Pinsent Masons Germany LLP sowie sipgate GmbH.

Angelika Campbell

Bis 27.09.2020 , kunstpalast.de

Bilder:
Peter Lindbergh (Foto: Stefan Rappo)
Mitte:

li: Sasha Pivovarova, Steffy Argelich, Kirsten Owen & Guinevere van Seenus
Brooklyn, 2015, Foto: Peter Lindbergh (Courtesy Peter Lindbergh, Paris)

re: Uma Thurman, New York, 2016, Foto: Peter Lindbergh (Courtesy Peter Lindbergh, Paris)